Olga Holdorff spielte u.a. beim NDR Elbphilharmonie Orchester, an der Komischen Oper Berlin, am Staatstheater Braunschweig, an der Staatsoper Hannover, bei den Berliner Symphonikern, den Brandenburger Symphonikern, dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt (Oder), sowie in verschiedenen Kammermusikformationen, u.a. beim „Infektion!“ Festival für neues Musiktheater an der Staatsoper Berlin und bei der Ensemble Modern Sommerakademie auf Paxos. Sie ist Mitglied es Ensemble LUX:NM für Neue Musik. Konzerte führten sie durch ganz Europa und u.a. nach China, Korea, Kanada.
Sie war für die Barenboim-Said-Foundation in Palästina tätig und lehrte mehrere Monate für „El Sistema“ in Venezuela. Zudem unterrichtet sie seit ihrem 14. Lebensjahr Schüler:innen, seit ihrem Studienabschluss auch Student:innen. Sie ist Mitbegründerin des Sebun Quartet und Gründerin des Berlin Music Ensemble. Das Orchester ist auf Einspielungen spezialisiert und wurde vom Preis der Deutschen Schallplattenkritik auf der Bestenliste 2018 für die beste Einspielung im Bereich Filmmusik ausgezeichnet.
Sie ist Gründerin und künstlerische Leiterin des Chios Music Festivals zusammen mit Lefteris Veniadis. Das Festival findet zweimal im Jahr auf der griechischen Insel Chios statt.
-Wie entstand die Idee für das Chios Music Festival?
Die Idee entstand bereits zu Studienzeiten, während gemeinsamer Projekte unterhielten Lefteris und ich uns darüber, wie schön dieses oder jenes Konzert an bestimmten Ort auf Chios wären. Es blieb viele Jahre bei der Idee. Dann kam die europäische Wirtschaftskrise, die das Land hart traf, die deutschen Zeitungen die über die “Pleitegriechen” berichteten, das verletzte mich sehr, ich wusste jetzt muss etwas passieren, die Leute brauchen Hoffnung und einen Lichtblick im schweren Alltag. Kurz darauf kamen noch die vielen Geflüchteten hinzu, die täglich die Insel erreichten. Schwer sowohl für die Einheimischen, als auch für die temporären Bewohner. Ab dann war ich fest entschlossen, auch meinen Beitrag für die Insel zu leisten, in Form eines Festivals. Musik ist nunmal meine Profession.
-Chios ist ein musikliebender Ort. Glaubst du aufgrund deiner Erfahrung mit dem Festival, dass dies im Laufe der Jahre zunimmt, oder dass das lokale Interesse an Musik abnimmt?
Das Interesse an Musik steigt stetig, nach meiner Erfahrung. Wir haben von Jahr zu Jahr mehr Publikum. Es kommen auch zahlreiche Touristen und auch Griechen von Nachbarinseln für das Festival angereist. Viele Einheimische haben uns auch diesen Sommer gesagt, dass wir damals die ersten waren, die musikalische Programme organisiert haben und wir eine Inspiration für viele waren und sind. Es entstehen neue musikalische Initiativen auf der Insel, auch entscheiden sich immer mehr junge Menschen aktiv zu musizieren oder auch ein Musikstudium zu beginnen, die wir aktiv dabei unterstützen.
– Wie haben Lefteris Veniadis und du euch kennengelernt und wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Lefteris wurde mir damals als Jugendliche von meiner guten Freundin und Theaterpädagogin Avgoustina Likourina auf Chios vorgestellt. Jahre später rief mich Lefteris aus Griechenland an, dass er gerne Komposition in Deutschland studieren wolle. Ich empfiehl ihm unterschiedliche Hochschulen und Lehrkräfte. Wie es der Zufall wollte, wurde auch er an der UdK Berlin angenommen, wo ich bereits studierte. Dort entstand durch verschiedene Hochschulprojekte eine Zusammenarbeit, während der Probenphasen unterhielten wir uns über die Idee, ein Festival auf Chios zu gründen.
–Welche positiven Aspekte der Persönlichkeit von Lefteris schätzt du am meisten?
Er hat einen sehr ausgeprägten Humor, was in schwierigen Situationen helfen kann. Er ist sowohl Komponist als auch Schauspieler, ich hatte als Kind auch viele Jahre Theaterspiel und Musik parallel laufen lassen, d.h. da treffen wir uns auch musikalisch und performativ. Außerdem hatten wir den gleichen Ausbildungshintergrund an der Universität der Künste Berlin, weshalb wir künstlerisch und in der Projektauswahl immer einer Meinung sind.
–Könntest du das Festival ohne Lefteris fortsetzen, falls er gehen würde?
Darüber habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht, das würde einen Todesfall bedeuten und das möchte ich mir nicht vorstellen. Aber wenn wir beide mal nicht mehr sein sollten glaube ich, dass wir schon so viele Anregungen und musikalische Unterstützung auf der Insel gegeben haben, dass es Früchte auch über unseren Tod hinaus tragen wird.
–Dieses Jahr hattet ihr im Rahmen des Festivals eine super erfolgreiche Strandparty. Erzähl mir ein paar Worte zu diesem Abend.
Wir lieben es Events an unterschiedlichen und teilweise auch sehr ungewöhnlichen Orten zu veranstalten. Ich liebe es mit der Architektur der Orte zu spielen, und den Einfluss, den die Musik auf den Ort hat und umgekehrt. Ich denke da kommt die Architektentochter in mir durch. Der Karfas-Strand ist zum einen mein Heimatort, zum anderen war eine ausgelassene Partystimmung dringend nötig, man konnte spüren, wie die Menschen nach den Corona-Jahren nach einem fröhlichen Beisammensein dursteten und in Scharen kamen und zusammen feierten.
-Der Auftakt des diesjährigen Festivals fand mit deiner Teilnahme im Innenhof des Mariä Himmelfahrt-Klosters in Mesta statt. Wie war diese Erfahrung?
Vor Jahren war ich mit meiner Geige über die Insel gefahren und habe akustisch verschiedene Orte ausprobiert. Damals zeigte mir meine gute Freundin Avgoustina Likourina diese Klosterruine und ich spürte sofort die Magie dieses besonderen Ortes. Ich packte mein Instrument aus, spielte ein paar Töne und es war mir klar, dass dort eines Tages ein Konzert stattfinden muss. Letztes Jahr wurde diese freie Fläche erstmalig mit meinem Sebun Quartet bespielt. Dieses Jahr erklangen mit Streichtrio die Goldberg Variationen von Bach, die sehr gut an diesen kirchlichen Ort passten. Das Dorf Mesta fühlt sich für mich inzwischen wie ein Heimatdorf an, die Leute erwarten uns dort schon, mähen das Gras, stellen Stühle auf usw. Ich finde toll, dass die klassischen Konzerte dort in einem sehr untypischen Kontext stattfinden. D.h. das Event wird noch wie im Dorf bei Veranstaltungen üblich per Megaphon angekündigt, am Abend selbst laufen Zigeunerinnen durch die Reihen und bieten bunte Luftballons mit Lichtern zum Verkauf an. Das Konzert fand unter dem Sternenhimmel statt, eine halbe Stunde nach Konzertbeginn ging der mega Vollmond des Jahres auf. Traumhaft. Das Publikum bestand sowohl aus Klassikliebhabern, die aus Chios-Stadt die weite Anfahrt auf sich genommen hatten, als auch aus den Dörflern und umliegenden Gegenden, die zum Teil noch nie zuvor mit Klassik in Berührung gekommen wahren. Alle folgten hochkonzentriert der Musik.
-Kannst du drei wichtige Momente des Festivals in den sieben Jahren herausgreifen? Welche sind diese und warum?
Es fällt mir schwer drei Momente herauszusuchen, weil es wirklich viele in den letzten 7 Jahren waren. Und alle waren sehr speziell und nicht miteinander vergleichbar. Unterschiedliche Orte wie Klosterruinen, Amphitheater, Dorfplätze, Fußballplatz, Schulen, Homer Theater, Gutshäuser, Kirchen, Strände, Museen, archäologische Stätten an denen u.a. klassische Konzerte, Jazz-Konzerte, Musiktheater, moderierte Kinderkonzerte, Seminare und Workshops stattfanden.
-Du hast mit 4 Jahren mit dem Geigenunterricht begonnen. Erzähl mir ausführlich davon.
Ich wollte so jung unbedingt Geige lernen, weil mein älterer Bruder damals Geige spielte. Aber das erste Jahr mit 4 Jahren war schwer, die Lehrerin damals pädagogisch leider nicht kompetent für kleine Kinder. Ich wollte die Geige nicht mehr anfassen, zum Glück brachte mich meine Mutter mit fünfeinhalb Jahren zu einer anderen Lehrerin, die nach der Suzuki-Methode unterrichtete. Ab dann ging es richtig los. Es fanden fast jedes Wochenende Schülervorspiele statt. Mit 14 Jahren erhielt ich mein erstes Stipendium in Berlin. Spätestens ab dann war der weitere Weg klar.
-Was sind die stärksten Erinnerungen, die du an deine Eltern als Kind hast?
Eine sehr persönliche Frage, da ich meine Eltern in jungen Jahren verloren habe. Es gingen immer Künstler bei uns ein und aus, es wurde auch viel über Politik gesprochen aber auch über Emotionen. Jeder hatte seine Kunstrichtung (Musik, Architektur, Malerei, Bildhauerei, Dichtung, …) aber wir waren immer füreinander da. Es gab viel Liebe und Zusammenhalt. Probleme wurden immer ausdiskutiert und nicht verschwiegen, es wurde alles besprochen, auch mit uns Kindern. Viele schöne Erinnerungen, besondere Reisen, Unternehmungen, gemeinsames Malen, Basteln, Spielen, ich hatte tolle Eltern.
-Woran erinnerst du dich im Allgemeinen aus deiner Kindheit auf Chios?
Die Feierlichkeiten mit der ganzen Verwandtschaft. Das Laufen auf den nicht asphaltierten Straßen mit roter Erde bis in das nächste Dorf, um dort Süßigkeiten zu kaufen. Dann meine Ziege, die mir meine Mutter gekauft und vom Schlachthof gerettet hatte. Am Anfang durfte das Zicklein in meinem Kinderzimmer übernachten, dann bauten meine Eltern ihr einen Stall. Griechische Ostern bei meiner Oma. Der Tisch war immer reichlich gedeckt, sie kochte Tage im Voraus. Körbchen voll mit Rosenblättern aus ihrem Garten standen für uns Kinder bereit, damit wir sie Abends vom Balkon rieseln lassen konnten, wen der Epitaph an ihrem Haus vorbeizog. Dann sollte ich immer Geige vorspielen, meine Oma mochte Beethoven. Ich liebte den Strand von Elinda, es war dort so grün und idyllisch. Ansonsten natürlich Spielen, Baden gehen und Eis essen mit Cousinen und Freunden.
-Hattest du als Kind Idole und wer waren sie?
Ja Geigerinnen/Solistinnen wie z.B. Anne-Sophie Mutter, ich mochte als Kind ihre Einspielung vom Mendelssohn Violinkonzert, als Teenager dann Che Guevara und zu meinen Kung-Fu Zeiten noch Bruce Lee.
-Welche fünf Merkmale machen Chios so besonders? (Außer dem Chios Music Festival)
Zahlreiche noch unberührte Strände, die landschaftlichen Unterschiede im Norden und Süden, malerische Steindörfer, einmalige Architektur wie z.B. in der Kamposebene, köstliche chiotische Produkte, nicht zu vergessen das breitgefächerte kulturelle Interesse der Chioten.
-Was muss sich deiner Meinung nach auf Chios ändern, um die Insel noch weiter voranzutreiben?
Das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit muss noch stärker in den Vordergrund treten. Dies betrifft sowohl eine ökologische Energiegewinnung, den Schutz der Wälder, des Meeres, als auch einen ökologischen und sensiblen Umgang mit Neubebauung. Instandsetzung alter Häuser sollte vor Neubau gehen. Das bringt auch eine andere Qualität von Tourismus. So stelle ich mir eine moderne Insel vor.
– Beschreibe mir dein Leben zwischen Chios und Berlin.
Ich habe das große Glück, dass ich mich an beiden Orten zu Hause fühle. Das ist eine große Bereicherung für mich, aber auch für beide Welten, die ich nach und nach auch durch das Festival immer mehr in Kontakt miteinander bringe. Ich habe das große Glück, dies an nächste Generationen weitergeben zu können. Nicht zuletzt auch durch die Jugendaustauschprojekte, die wir mit Jugendlichen aus Berlin und Chios verwirklichen. Z.B. kamen die Kinder und Jugendlichen vom Staats-und Domchor Berlin nach Chios, zuletzt reisten dieses Jahr über 40 Jugendliche von Chios nach Berlin.
-Dein ganzes Leben ist in Musik gehüllt. Könntest du dir dein Leben ohne Musik vorstellen?
Ich brauche die Musik wie die Luft zum Atmen. Ich wünsche jedem Menschen, dass er eine Leidenschaft im Leben findet, etwas wofür er brennt. Dass hält dich auch in schweren Situationen und Lebenslagen am Leben.
-Das diesjährige Chios Music Festival ist zu Ende. Wie war die Reaktion der Menschen und was sind deine Schlussfolgerungen?
Den Leuten ist aufgefallen, dass das Festival kontinuierlich Gewachsen ist, größer wird und sehr viel Publikum zu unseren Veranstaltungen kommt. Egal welche Musikrichtung, es wird angenommen weil die Menschen wissen, dass sie eine hohe künstlerische Qualität vorfinden werden und auch neuartige und neu gedachte Momente erleben werden.
-Was können wir vom nächsten Chios Music Festival erwarten?
Als nächstes steht die Winteredition im Februar an. Diese wird u.a. wieder sowohl klassische Konzerte, als auch eine Kinderoper mit und für Kinder beinhalten.
-Wie verbringst du deine Freizeit?
Die Freizeit kommt bei mir momentan zu kurz, ich liebe was ich künstlerisch mache. Aber wenn ich mir Zeit zum auftanken nehme, dann liebe ich es mich mit Freunden und Familie zu treffen und zusammen gutes Essen zu genießen oder auch in der Natur zu sein und der Stille zu lauschen oder auch Zeit mit meinen Tieren zu verbringen. Das bringt mich in eine gute Balance nach Konzerten oder den Festival Editionen mit viel Action und vielen Menschen.
-Was sind deine nächsten künstlerischen Pläne?
Es stehen u.a. Konzerte mit dem Ensemble Lux:nm für neue Musik an, dann mit dem Sebun Quartet und Einspielungen mit meinem Berlin Music Ensemble, sowie Konzerte mit verschiedenen Orchestern.
Ακολουθεί η συνέντευξη στα ελληνικά
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